Fiktives Interview mit Jolande von Frankreich

Heute interviewen wir eine savoyische Prinzessin, die direkt aus dem 15. Jahrhundert angereist ist. Die vielbeschäftigte Jolande von Frankreich erklärt uns nicht ohne Stolz, weshalb sie sich erst nach mehreren Nachfragen unsererseits Zeit für uns nehmen konnte.

Aufgezeichnet von Samuel Metzener / Übersetzung Mirjam Grob

Kurzbiografie

 

1434 Geburt

1436 Verlobung und Reise nach Savoyen

1440 Jolande lernt Lesen und Schreiben

1451 Hochzeit mit Amadeus IX. von Savoyen

1453-1472 Geburt von zehn Kindern, darunter Philibert im Jahr 1465

1465 Regentschaft an der Stelle ihres kranken Ehemanns

1472 Tod von Amadeux IX. und Regentschaft von Jolande von Frankreich bis zur Volljährigkeit von Philibert

1474 Sorgt dafür, dass ihre Töchter das Lesen und Schreiben lernen

1478 Tod

Jolande von Frankreich, können Sie uns zum Anfang etwas mehr über Ihre Familie erzählen?

Nennen Sie mich Ihre Hoheit, ich muss Sie doch sehr bitten. Wir hatten nicht die gleiche Amme und Sie sind nicht einmal aus der Familie Valois. Mein Herr mit dem deutschtönendem Namen, Sie mögen vielleicht hochwohlgeboren sein, aber ich bin die Tochter und die Schwester von zwei Königen von Frankreich, die nicht nur die Engländer aus unseren Landen verjagt haben, sondern auch Frieden zwischen unseren zwei Königreichen gestiftet haben. Ich bin von Gottes Gnaden in allen Belangen höhergestellt als Sie

 

Ich bitte um Entschuldigung, Ihre Majestät. Sie haben vom Haus Valois gesprochen, das in Frankreich regiert hat. Was hat Sie vom Königshof bis nach Savoyen gebracht?

Mein Vater, König Karl VII., hat schon früh damit begonnen, alles zu arrangieren. Sie haben bestimmt schon von ihm gehört, denn ein etwas ruppiges junges Landei hat für ihn gekämpft: Jeanne d’Arc. Er wollte sich Savoyen annähern, denn die Fürsten waren wichtiger geworden, seit sie ihre Grafschaft in ein Herzogtum umwandeln konnten. Ich war von Kindesalter an Amadeus von Savoyen versprochen. Dem neunten davon, sollte ich präzisieren, denn in dieser Familie heissen sie beinahe alle so. Im Jahr 1436 wurde ich im Alter von zwei Jahren an den Hof seiner Familie geschickt, um nach den dort herrschenden Normen erzogen zu werden.  

 

Wie wurden Sie als Kleinkind empfangen?

Wirklich gut! In Savoyen behandelte man die zukünftigen Schwiegertöchter hervorragend. Unsere Kleider waren beispielsweise von bester Qualität. Ich durfte mich in blauen Tönen kleiden, der nobelsten aller Farben, die auch an mein Herkunftsland erinnerte. So wurde auch unterstrichen, wie wichtig man die zukünftigen Heiraten der Dynastie nahm. Wir erhielten auch eine weitreichende Erziehung. Mit sechs Jahren habe ich gelernt zu lesen und auch zu schreiben, obwohl das damals an den grossen europäischen Höfen überhaupt nicht üblich war.

Wie lief das Treffen mit Ihrem Gemahlen?

Die Verlobung dauerte eeeeeewig. Ich lebte praktisch fünfzehn Jahre in Savoyen, bevor die Heirat stattfand, als ich siebzehn Jahre alt war. Ich hatte also viel Zeit, um Amadeus kennenzulernen. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: Er litt an Fallsucht, die ihr heute Epilepsie nennt. Als ich ihn 1451 heiratete, wusste ich, dass mein Ehemann nicht alt werden würde.

 

Und Sie haben ihn in seinem Leiden sehr unterstützt?

Noch besser! Einen schwächlichen Ehemann zu haben, war eine wunderbare Möglichkeit (verschmitztes Lächeln)! 1466 konnte Amadeus nicht mehr weiter die Macht ausüben und ich wurde offiziell zur Regentin ernannt. Als er 1472 gestorben ist, sorgte ich dafür, dass mein Sohn ihm als Herzogen folgte. Er hiess übrigens Philibert, um endlich für etwas Abwechslung zu sorgen. Weil er noch nicht einmal sieben Jahre alt war, konnte ich bis zu seiner Volljährigkeit die Macht in seinem Namen ausüben!

 

Als Regentin hatten Sie bestimmt Verehrer? Gaben Sie Bälle?

Na hören Sie mal, ich kümmerte mich lieber ums Tagesgeschäft als um Bälle. Savoyen zu regieren war damals kein Zuckerschlecken. Wegen dem langen Konflikt zwischen den Königen von Frankreich und den Herzogen von Burgund gab es zahlreiche Klippen zu umschiffen. Wir waren ja mit beiden benachbart. Damit mein Philibert eines Tages etwas anderes als bloss einen Sarg erbte, durfte ich niemanden erzürnen. Also schrieb ich Ihnen und verdarb es mir mit niemanden. Wie viel Zeit ich dafür bloss aufwendete! Sie können sich also vorstellen, wie schwierig es war für mich, Zeit zu finden, um Ihnen ein Interview zu geben.

Guillaume Fichet, der Yolande de France, Herzogin von Savoyen, sein Buch schenkt, „À l’illustre duchesse“ Guillaume Fichet, La Rhéthorique, 1471, Cologny, Fondation Martin Bodmer.

Das war bestimmt nicht immer einfach…

Einfach? Behalten Sie Ihre Überheblichkeit aus dem 21. Jahrhundert ruhig für sich! Wegen diesem Doppelspiel wurde ich sogar gekidnappt. Dabei hatte ich keine Wahl. Ich wollte es mir mit meinem Bruder, dem König von Frankreich Ludwig XI., nicht verderben… Aber die Macht des Herzogen von Burgund, Karl dem Kühnen, konnte uns viel einbringen. Ich hoffte auf eine Heirat zwischen Philibert und seiner Tochter, aber daraus ist nichts geworden. Noch schlimmer, nach seiner vernichtenden Niederlage in Morges wurde er paranoid und dachte, ich hätte ihn verraten. Am 27. Juni 1476 liess er mich entführen. Philibert ist entkommen, aber ich wurde wie ein vulgärer Sack Rüben auf das Pferd eines meiner Entführer geschmissen! Gottseidank konnte mein Bruder mich befreien.

 

Wie haben Sie sich angesichts dieser Schwierigkeiten ablenken können? Feierte man Feste in Savoyen?

Ich las! Ich hatte eine riesige Bibliothek mit über achtzig Büchern zu allen möglichen Themen. Am meisten möchte ich ein Buch von Christine von Pizan. Was für ein Ausnahmetalent, diese Frau! Sie war eine Generation älter als ich, konnte vom Schreiben leben und gab Führungstipps. An den grossen Höfen haben die Fürstinnen Lesezirkel ins Leben gerufen. Man las gemeinsam Auszüge aus ihren Büchern, schenkte den zukünftigen Schwiegertöchtern Bücher von Christine von Pizan, etc. Es gab eine regelrechte Christine-Mania!

 

Was haben Sie getan, damit sich die zukünftigen Generationen an Ihre Herrschaft erinnerten?

Ich habe dafür gesorgt, dass meine Kinder Klassiker wie Cicero, Ovid oder Juvenal lasen. Ich wollte auch, dass meine Töchter lernten, selbst zu schreiben. Daneben habe ich den anderen europäischen Höfen gezeigt, dass ich mich für die Erziehung meiner Kinder interessierte, indem ich mich als Beraterin meines Philiberts porträtieren liess. Bescheiden natürlich, in Trauerkleidern, um niemanden zu schockieren. Aber so erinnerte ich daran, dass ich den Laden geschmissen hatte.

Online-Ticketshop