Interview mit Bonne von Berry

Die Fürstin, die uns heute beehrt, ist wütend. Sie findet, ihre Rechte seien mit Füssen getreten worden, und sie hat die weiten Meere der Zeit durcheilt, um nach Chillon zu kommen und uns ihre Sichtweise darzulegen. Dieses Interview ist für sie eine Gelegenheit, lautstark ihre Abneigung gegen das System kund zu tun.

Aufgezeichnet von Samuel Metzener / Übersetzung Mirjam Grob

Kurzbiografie

 

1365/67 Geburt

1377 Heirat per Stellvertreter mit Amadeus dem VII. von Savoyen

1381 Ankunft in Savoyen

1383 Beginn der Herrschaft von Amadeus VII.

1383-1392 Geburt von drei Kindern, darunter der zukünftige Amadeus der VIII.

1391 Tod von Amadeus dem VII.

8. Mai 1393 Verzicht auf das Anrecht auf die Regentschaft in Savoyen

30. Oktober 1393 Heirat zwischen dem Grafen Amadeus dem VIII. und Maria von Burgund

2. Dezember 1393 Heirat mit Bernard VII. von Armagnac

1396-1406 Geburt von mindestens sieben Kindern

1418 Ermordung Bernards des VII.

1435 Tod

Bonne von Berry, erzählen Sie uns bitte, weshalb Sie so aufgebracht sind.

Bonne de Berry : Das ist einfach: Man hat mir Savoyen gestohlen. Meine Schwiegermutter, die übergeschnappte Bonne von Bourbon, hat es mit der Hilfe von unehrlichen Schreiberlingen geschafft, meine Ansprüche auf die Regentschaft der Grafschaft zu vernichten. Es war falsch von mir, zu glauben, wir seien im 14. Jahrhundert, einer offenen Zeit, und nicht mehr in der Hexenjagd. Traurig.

 

Sie und Ihre Schwiegermutter liegen sich also in den Haaren. Seit wann ist das so?

Seitdem mein Ehemann, Graf Amadeus der VII. von Savoyen, 1391 unter verdächtigen Umständen starb. Bei der Wildschweinjagd verletzt, glauben Sie das etwa? Und ganz zufällig habe er kurz vor seinem Tod noch seine Mutter als Regentin eingesetzt, bis unser ältester Sohn volljährig ist. Was für ein Witz! Natürlich haben die Chronisten, die nach Unwahrheiten gieren, es unterlassen, von den Vorwürfen zu sprechen, die Amadeus auf seinem Totenbett vorgebracht hat. Er hat seinen Arzt Jean de Granville beschuldigt, ihn vergiftet zu haben. Diese schändliche Person wurde in Eisen gelegt und nichts weiter. Er wurde nicht einmal gefoltert, damit er sein Verbrechen gesteht. Die sollten sich schämen!

 

Ich nehme an, dass es nicht dabei blieb?

Natürlich nicht! Mein Vater und mein Onkel eilten mir zu Hilfe. Sie haben bestimmt von ihnen gehört. Sie waren damals berühmt. Ersterer hiess Johann von Berry und war der jüngere Bruder von Karl dem V., König von Frankreich. Der zweite, Philippe der Kühne, war sein jüngerer Bruder… Und somit auch der kleine Bruder des französischen Königs. Dazu war er noch der Herzog von Burgund! Vor allem er hat mich verteidigt. Er hatte gute Gründe, ein Auge auf Savoyen zu werfen. Es grenzte an sein Land an und seine Tochter Maria – meine Kusine – war ab 1385 meinem Sohn versprochen. Mit ihnen zusammen begann ich für meine Rechte zu kämpfen. ENDLICH!

Buntglasfenster mit den Wappen des Herzogtums Berry und der Grafschaft SavoyenBuntglasfenster mit den Wappen des Herzogtums Berry und der Grafschaft Savoyen Geschmücktes Wappen von Bonne de Berry

Buntglasfenster mit den Wappen des Herzogtums Berry und der Grafschaft Savoyen

In der Camera Domini, Kopie eines Kirchenfensters aus dem späten 15. Jahrhundert, 1951.

Wie haben sie Ihnen geholfen?

De Granville, dieser Schurke, hat es geschafft, aus Savoyen zu fliehen (ein weiterer Zufall, der meiner verdorbenen Schwiegermutter Freude bereitet hat). Mein Vater hat kurzen Prozess gemacht. Er hat ihn verfolgt und gefangen genommen. Unter Folter hat er gestanden, dass Bonne von Bourbon die Vergiftung meines Ehemanns in Auftrag gegeben hat. So haben wir sie in die Enge getrieben, die alte Schachtel! Sie konnte keine Falschinformationen mehr verbreiten!

 

Sie konnten also ihre Absetzung erwirken und die Macht ausüben?

Leider nein. Was für eine Schande für die Justiz! Auf Antrag der Familie meiner verrückten Schwiegermutter musste der königliche Rat von Frankreich entscheiden. Dieses Luder sass am längeren Hebel. Sie kam wie ich aus der königlichen Familie. Wir hätten eine Familientherapie nötig, nicht wahr? Mir wird schon übel, wenn ich nur daran denke.

Die Verlobung von Bonne d’Armagnac (Tochter von Bonne de Berry) in Anwesenheit des Herzogs Jean de Berry, Brüder Limburg/Anonym/Jean Colombe, Les Très Riches Heures du Duc de Berry, 1411-1486 © Château de Chantilly, Musée Condé, Ms 65, fol. 004v.

Zu welchem Beschluss kam der Rat? Hat er Ihre Rechte anerkannt?

Am 8. Mai 1393 mussten Bonne die Räuberin und ich einen Friedensvertrag unterzeichnen. Die Anschuldigungen wurden fallengelassen. Die Alte konnte Regentin von Savoyen bleiben, aber sie musste die Anwesenheit von Beratern akzeptieren, die meinem Vater und meinem Onkel nahestanden. Die unredlichen Chronisten haben das als grosse Versöhnung beschrieben. Was für eine Blamage! Bei all dem habe ich ÜBERHAUPT GAR NICHTS erreicht. Um es noch schlimmer zu machen, hat mich mein Vater im gleichen Jahr mit dem Grafen von Armagnac verheiratet, einem äusserst einflussreichen Adligen im französischen Königreich. Ich war immer noch eine gute Partie, hat er mir gesagt. Ich musste dalli in die Gascogne umziehen, heute würdet ihr sagen, nach Okzitanien. Das Wetter und das Essen waren zwar besser, aber ich spielte überhaupt keine Rolle mehr bis zu meinem Tod mit beinahe 70 Jahren. Mein eigener Vater hatte mich übers Ohr gehauen!

 

Der Tod Ihres Gemahlen, das Drama rund um die Regentschaft, all das war bestimmt umso schmerzhafter, als Sie Amadeus wirklich lieb hatten?

Nicht wirklich. Wir wurden per Stellvertreter verheiratet. An meinem grossen Tag sagte ich «Ja» zu einem alten Männchen, Guillaume de la Baume, der Amadeus symbolisch in Paris vertrat, wo die Ehe geschlossen wurde. Er war ein Adliger von hohem Rang und ein Freund des Vaters meines Versprochenen. Ich erinnere mich noch daran, dass ich das komisch fand. Alles war genau wie bei einer klassischen Hochzeit: Einwilligung, kirchlicher Segen, die Ringe… aber kein Bräutigam! Mein Vater sagte mir, dass sei so Brauch, wenn die Brautleute weit voneinander entfernt lebten. Danach habe ich noch vier Jahre gewartet, bevor ich nach Savoyen reiste. Und danach… na ja, Sie wissen ja, wie es weitergeht. Ich habe Kinder geboren für die Dynastie. Drei, einer davon ein Erbprinz. Ich habe meine Arbeit gemacht. Was hat mir Savoyen dafür gegeben? Ich hatte das Zeug zur Herrscherin, aber sie haben mich daran gehindert. Angst, Verachtung, Eifersucht? Schwierig, dem System zu entkommen.

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